Als „Frontalangriff der Aufsicht" bezeichnete das Handelsblatt in seiner Online-Ausgabe vom 29.01.2021 die Ankündigung einer Allgemeinverfügung bezüglich Zinsanpassungsklauseln bei Prämiensparverträgen gemäß Pressemitteilung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom gleichen Tag.
Was soll angeordnet werden?
Die BaFin beabsichtigt anzuordnen, dass die Sparkassen nunmehr alle betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher, die langfristige Prämiensparverträge mit – was dem Regelfall entspricht – unwirksamer Zinsanpassungsklausel abgeschlossen haben, über die Unwirksamkeit der Zinsanpassungsklausel initiativ zu informieren haben. Die Verpflichtung soll unabhängig von der Frage gelten, ob die Verträge bereits gekündigt sind.
Die Unterrichtung ist entweder mit der unwiderruflichen Zusage zu verbinden, dass eine noch zu erwartende zivilgerichtliche ergänzende Vertragsauslegung als Grundlage einer Nachberechnung der vorenthaltenen Zinsen dienen wird, oder aber es ist ein Angebot zur Vereinbarung einer sachgerechten, die bisherigen Vorgaben des Bundesgerichtshofs (Az. XI ZR 197/09) berücksichtigenden Zinsanpassungsklausel zu unterbreiten.
Warum diese Maßnahme?
In dem von unserer Kanzlei im Musterfeststellungsklageverfahren vor dem Oberlandesgericht Dresden (Az. 5 MK 1/19) erstrittenen ersten positiven Urteil zugunsten des von uns vertretenen Musterklägers wurde, wie erwartet, von der beklagten Sparkasse genauso Revision zum Bundesgerichtshof (Az. XI ZR 234/20) eingelegt, wie in den weiteren Musterklageverfahren gegen die Sparkasse Zwickau (Az. XI ZR 310/20) und die Erzgebirgssparkasse (Az. XI ZR 461/20). Mit einer zeitnahen Entscheidung des Bundesgerichtshofs kann nicht gerechnet werden, da sich auch in den Revisionsverfahren der Verdacht aufdrängt, dass die Sparkassen "auf Zeit" spielen.
Obwohl das Oberlandesgericht in der Sache unserer und der Rechtsauffassung des von uns vertretenen Musterklägers folgte und in den Urteilsgründen zu den nun auch der beabsichtigten Allgemeinverfügung der BaFin zu entnehmenden Zinsanpassungsgrundsätzen Stellung bezog, sah sich der Senat in allen von ihm entschiedenen Musterklageverfahren aufgrund einer Verkennung der Bindungswirkung der Urteile leider gehindert, diese Zinsanpassungsgrundsätze auch ausdrücklich im Urteilstenor niederzulegen. In zwei weiteren Verfahren (Sparkassen Meißen und Vogtland) wird am 31.3. 2021 die mündliche Verhandlung stattfinden. In dem ebenfalls von unserer Kanzlei betreuten Musterverfahren gegen die Sparkasse Muldental wurde noch nicht terminiert.
Leider verwies das Oberlandesgericht Dresden durch seine Entscheidung die betroffenen Sparer wiederum auf den Individualrechtsweg und eröffnete den Sparkassen die Möglichkeit in zwischenzeitlich unzähligen amts- und landgerichtlichen Verfahren weiterhin ihre Rechtsauffassung vorzutragen, obwohl dieser das Oberlandesgericht eigentlich bereits eine Absage erteilt hatte. Weil die Urteile des Oberlandesgerichtes Dresden bisher nicht rechtskräftig sind und viele Richter naturgemäß die Sach- und Rechtslage unterschiedlich beurteilen, ist die für die betroffenen Sparer äußerst missliche Situation entstanden, dass eben auch – trotz der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts Dresden – fehlerhafte Urteile zum Nachteil der Sparer ergingen. So wurden z. B. Klagen wegen vermeintlicher Verjährung oder Verwirkung abgewiesen. Auch interpretieren die Sparkassen öffentlichkeitswirksam bewusst fehlerhaft die bisherigen Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Dresden in ihrem Sinne.
Dies wiederum wird selektiv dann von den Sparkassen ausgenutzt, wenn Kunden ohne anwaltliche Hilfe Ansprüche geltend machen, indem behauptet wird, nach der Rechtsprechung z. B. des örtlichen Amtsgerichts würden keine Ansprüche bestehen. Hier besteht die Gefahr, dass die betroffenen Sparer dann entweder Ihre Ansprüche nicht weiterverfolgen, oder sich auf einen für Sie äußerst nachteiligen Vergleich einlassen und dadurch ihrer tatsächlichen Ansprüche verlustig gehen.
Besonders interessant an der beabsichtigten Allgemeinverfügung der BaFin ist, dass nach deren Kenntnisstand keine Sparkasse bekannt ist, welche nach dem Verständnis der Rechtsprechung seitens der Verbraucherzentralen und der BaFin eine in allen Punkten wirksame Zinsanpassungsklausel tatsächlich verwendet. Weder sind die von den Sparkassen zugrunde gelegten Referenzzinssätze geeignet, noch erfolgt die Anpassung innerhalb angemessener Anpassungsintervalle und -Schwellen. Erst recht, und dies hat auf die Höhe des jeweiligen Nachzahlungsanspruchs erhebliche Auswirkung, wird der anfängliche relative Zinsabstand (außer bei gerade einmal fünf (! )Sparkassen) nicht beibehalten, wie dies in der bisherigen Rechtsprechung ausdrücklich gefordert wird. Vielmehr behalten die Sparkassen einen absoluten Zinsabstand bei und sicherten sich hierdurch überwiegend während der gesamten Laufzeit des Vertrages Ihre kalkulierte Marge.
Die BaFin stuft das bisherige Verhalten der Sparkassen ausdrücklich als Missstand gemäß § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG ein. Mildere Mittel stehen nach ihrer Auffassung nicht mehr zur Verfügung. Insbesondere legt die BaFin dar, dass ein Zuwarten auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs kein gleich gut geeignetes milderes Mittel ist.
Auch im Rahmen eines sogenannten "runden Tischs" bei der BaFin zeigte sich, dass die betroffenen Sparkassen (mittlerweile insgesamt 231, Stand 29.01.2021) überwiegend nicht bereit waren, trotz der Mitteilung der BaFin zu Ihrer Rechtsauffassung ("BaFin-Journal" vom Februar 2020), die Sparer zu informieren und ihnen angemessene Lösungen anzubieten. Tatsächlich sieht offenbar auch die BaFin das Problem, dass die betroffenen Sparer zu ihrem Nachteil übervorteilt werden und ihnen Ansprüche, deren Gesamtvolumen deutschlandweit nach Schätzungen rechnerisch mehrere Milliarden Euro betragen soll, entgehen.
Die BaFin sieht sich daher gehalten, den Missstand zur Durchsetzung der Verbraucherrechte durch verpflichtende Anordnung zu beseitigen.
Wie geht es jetzt weiter?
Es ist nunmehr abzuwarten, ob die von der BaFin beabsichtigte Allgemeinverfügung erlassen wird. Unabhängig davon ist es jedoch bemerkenswert, dass sich die BaFin derart klar und medienwirksam auf die Seite der Sparer und der Verbraucherzentralen schlägt. Es ist zu erwarten, dass die Sparkassen auch gegen die erlassene Allgemeinverfügung alle Rechtsmittel ausschöpfen werden.
Selbst wenn die Sparkassen die Allgemeinverfügung umsetzen, wird dies allerdings dazu führen, dass die Sparer entweder lediglich informiert werden und dann tatsächlich gehalten sind, zeitnah ihre Rechte individuell durchzusetzen. Alternativ würden den Sparern Vergleichsangebote unterbreitet, die ebenfalls genau zu prüfen sein werden. Auch aufgrund der bisherigen Stellungnahmen des Sparkassen- und Giroverbandes kann nämlich nicht erwartet werden, dass die bisherigen Vorgaben der Rechtsprechung in allen Punkten umgesetzt werden.
Wichtig:
Jedenfalls für diejenigen Sparer, die eine Information Ihrer Sparkasse erhalten, beginnt die nur 3 Jahre betragende Verjährungsfrist. Das gilt dann sowohl für noch laufende Verträge auch hinsichtlich der zukünftigen Zinsanpassung, als auch erst recht für bereits gekündigte Verträge. Bisher kann auf Grundlage der bisherigen obergerichtlichen Entscheidungen im Regelfall davon ausgegangen werden, dass die Ansprüche weder verjährt, noch verwirkt sind. Sparer sollten sich daher, wenn sie mit dieser Behauptung von Ihrer Sparkasse konfrontiert werden, nicht davon abhalten lassen, ihre Ansprüche weiter geltend zu machen.
Als Fazit kann festgehalten werden, dass sich die Erfolgsaussichten für betroffene Sparer wiederum deutlich verbessert haben und daher dringend zu empfehlen ist die eigenen Ansprüche, gegebenenfalls auch gerichtlich, durchzusetzen. Regelmäßig sind die Angelegenheiten rechtsschutzversichert. Im übrigen ist es auch nicht so, dass jede Sparkasse generell fundiert geltend gemachte Ansprüche ablehnt, sondern durchaus auch sehr akzeptable Vergleiche abgeschlossen werden konnten.
Es ist nicht zu erwarten, dass flächendeckend, also gegen jede Sparkasse bundesweit ein Musterfeststellungsklageverfahren geführt werden kann. Wichtig ist, dass die Anmeldung zu einem Musterfeststellungsklageverfahren nur zu einer Verjährungshemmung und Bindungswirkung führt, wenn der Anmeldende auch einen Sparvertrag mit der in diesem Verfahren beklagten Sparkasse geschlossen hat. Die große Masse der Betroffenen Sparer ist also gehalten, die eigenen Ansprüche selbst zu verfolgen.